Im zweiten Doppelinterview zum Schwerpunktthema der BioFach/ Vivaness 2021, "Shaping Transformation. Stronger.Together.", sprachen wir mit Louise Luttikholt, Director IFOAM – Organics International und Jeroom Remmers, Direktor und Gründer der True Animal Protein Price Coalition (TAPP Coalition). Weitere Interviews mit dem Fokus "Wie kann die Bio-Branche gemeinsam mit anderen gesellschaftlichen Bewegungen Transformation noch besser erreichen" erscheinen regelmäßig bis Februar im BIOFACH Newsroom.
Louise Luttikholt, IFOAM hat hohe Tierhaltungsstandards. Bitte beschreiben Sie kurz, warum es wichtig ist, Tierhaltung in den Standards zu verankern und was sie beinhalten.
Louise Luttikholt: Natürlich haben wir einen Standard als internationale Bio-Organisation aufgestellt, wohl wissend, dass Tiere in den allermeisten Betrieben ein integraler Bestandteil sind. Es ist eine Tatsache, dass Nutztiere den Menschen seit Jahrtausenden begleiten und sich mit ihm gemeinsam entwickelt haben.
IFOAM ist der eindeutigen Auffassung, dass ein gesundes Gleichgewicht zwischen Viehhaltung und Umwelt angestrebt werden muss, wobei wir selbstverständlich auch das Verhalten und die Bedürfnisse der Tiere respektieren und in artgerechten Haltungsformen umsetzen müssen.
Deshalb hat IFOAM spezifische Regeln für eine angemessene Besatzdichte aufgestellt. Die Tierhaltung muss sich in die Umwelt und auch regionalen Verhältnissen anpassen - einschließlich geeigneter lokaler Rassen. Kurzum, ökologische Tierhaltung kann nur in einem agrar-ökologischen Kontext stattfinden. Es gibt noch viele weitere Regeln, die alle Aspekte der Beziehung zwischen Landwirten und ihren Tieren betreffen. Landlose Haltungsformen und Massentierhaltung verursachen massive Probleme für Mensch, Tier und unseren Planeten und sind in den IFOAM Standards verboten.
Jeroom Remmers, welche Art von Aktivitäten organisiert die TAPP Coalition?
Jeroom Remmers: Die TAPP Koalition ist eine sehr neue internationale Organisation mit Mitgliedern aus dem ökologischen und konventionellen Landbau, ökologischen Lebensmittelunternehmen sowie verschiedenen NGOs (Tierschutz, Umwelt, Gesundheit, Jugend). Einer unserer Mitbegründer ist Volkert Engelmann (CEO von Eosta, einem der größten Händler von Bio- und Fair-Trade-zertifizierten Produkten in Europa), dessen Anliegen eine korrekte Aufstellung aller externen Kosten für Produkte ist. Wir sind damit sehr einverstanden.
In einem ersten Schritt haben wir begonnen, die Umweltkosten pro Kilogramm Fleisch aus konventioneller und aus ökologischer Produktion für Fleisch von Rind, Schwein und Geflügel zu berechnen. Mit diesen "wahren Preisen" haben wir begonnen, mit politischen Entscheidungsträgern, dem Handel und Verbrauchern auf nationaler als auch EU-Ebene zu arbeiten und eine passende Steuerpolitik zu fordern. Damit sind wir bis jetzt recht erfolgreich.
Wir haben unsere Vorschläge für einen „wahren Preis“ für Fleisch im Europäischen Parlament vorgestellt, und diese Nachricht fand weltweites Medienecho. Unsere Vorschläge führen zu einer enormen Reduzierung der Treibhausgasemissionen (120 Mio. Tonnen pro Jahr) und zu einer Senkung der Gesundheitskosten um 9 Milliarden Euro pro Jahr auf EU-Ebene, während gleichzeitig Mittel zur Subventionierung von Landwirten und Verbrauchern geschaffen werden, damit diese die richtigen Dinge tun.
Unsere niederländische Landwirtschaftsministerin unterstützt dieses Modell. Sie hat einen Entwurf an das niederländische Parlament eingebracht und schlägt auch vor, es in der Farm to Fork-Strategie der Europäischen Union in die Praxis umsetzen.
Unser Vorschlag lautet, Bio-Gemüse, Obst und pflanzliche Produkte mit Subventionen aus einer Fleischsteuer oder einen Null-Mehrwertsteuersatz billiger zu machen. Auf diese Weise werden nachhaltige und gesunde Lebensmittel günstiger und Lebensmittel mit negativen Auswirkungen auf die Gesundheit wie auch unseren Planeten werden teurer.
Wir rufen die EU-Verbraucher in einer neuen Petition (https://goodfoodprice.eu) auf, eine solche Politik zu unterstützen. Wir werben bei Supermärkten dafür, den Verbrauchern die tatsächlichen Lebensmittelpreise einschließlich der Umweltkosten aufzuzeigen. Der deutsche Lebensmittel-Discounter Penny ist der erste, der das umgesetzt hat. Bio-Fleisch und Milchprodukte haben im Vergleich zu konventionellem Fleisch niedrigere wahre Preise.
Gibt es bereits Berührungspunkte mit der Bio-Bewegung?
Jeroom Remmers:
Unsere Verbindung zur Bio-Bewegung ist durch unsere Mitglieder aus der Bio-Branche sehr eng. Einer unserer Vorschläge ist, dass mindestens 50% der Einnahmen aus der Fleischsteuer an den Landwirt zurückfließen müssen, um den Tierschutz und die Nachhaltigkeitsstandards zu verbessern, aber auch, um die Landwirte bei der Umstellung auf den ökologischen Landbau zu unterstützen und die Vermarktung durch dieses Werbebudget zu fördern.
Wir schlagen 600 Mio. Euro pro Jahr in den Niederlanden vor und 15-20 Milliarden Euro auf EU-Ebene, die dann für die Landwirte durch eine Fleischsteuer zur Verfügung gestellt werden. 25% dieser Budgets müssen in den Bio-Sektor fließen, um sicherzustellen, dass die Ziele der "Farm to Fork"-Strategie von 25% Bio-Fläche bis 2030 erreicht werden können. Die Fleischsteuer kann wirklich dazu beitragen, den Übergang zu finanzieren. Und ich denke, mehr und mehr Menschen verstehen, dass dies notwendig ist.
Milchkuhhaltung in Indien auf dem Bio-Modellhof der Ashayakalpa Molkerei.
Unterhält IFOAM schon tiefere Kontakte mit der Tierschutzbewegung?
Louise Luttikholt:
IFOAM beschäftigt sich sehr intensiv mit den wahren Kosten von Lebensmitteln, das ist unsere Verbindung zur TAPP-Koalition. Bisher nutzt IFOAM das Konzept der Erfassung aller entstehenden Kosten als Ansatz für die Lobby-Arbeit. Das Großartige an der TAPP Coalition ist, dass sie diese Idee gerade jetzt sehr stark in die Praxis übersetzt.
Darüber hinaus ist die Verbindung von IFOAM mit der Tierschutzbewegung sehr lang, sie reicht bis in die 1970er Jahre zurück, als IFOAM gegründet wurde. Sie können das an unseren Prinzipien und Standards erkennen. Es besteht also eine klare Verbindung. Aktuell betrachtet die Metastudie des Thünen-Instituts die Vorteile des ökologischen Landbaus auch in Bezug auf Aspekte des Tierschutzes. Es wird deutlich, dass es nicht reicht, nur auf Standards zu setzen, sondern dass die Fachkompetenz und die Einstellung jedes einzelnen Landwirts zählt.
Lassen Sie uns tiefer auf das Thema eingehen. Seit Jahren haben wir wachsende Bewegungen sowohl im Bio-Bereich als auch im Tierschutz. Auch die vegetarische und vegane Gemeinschaft wird immer stärker. Diese Bewegungen sind in den Medien sehr präsent. Warum haben sich IFOAM und TAPP Coalition mit ihren gemeinsamen Zielen bisher nicht zusammengetan?
Jeroom Remmers: Ich hoffe wirklich, dass IFOAM auf EU- und globaler Ebene und TAPP Coalition und andere sich zusammentun, um das Konzept einer "True pricing of food“, also die nachhaltige faire Preisgestaltung für Lebensmittel zu fördern und zu fordern.
Koalitionen aus der grünen, der veganen, der Tierrechts- und der Bio-Bewegung müssen zusammenarbeiten. Gemeinsam können sie politische Mehrheiten in den Parlamenten bilden, und die Politiker sehen, dass es sich um einen Vorschlag handelt, der von vielen verschiedenen Gruppen unterstützt wird. Das ist der Weg nach vorne, und es ist dringend erforderlich, für das gemeinsame Ziel zusammenzuarbeiten.
Wir hoffen, dass mehr Bio-Lebensmittelorganisationen außerhalb der Niederlande Partner der TAPP-Koalition werden.
Louise Luttikholt: Alle Organisationen haben unterschiedliche Rollen, und es ist sehr gut, wenn so viele die gleichen Ziele verfolgen und in die gleiche Richtung gehen. Jeder von uns muss seinen Beitrag leisten. Was ich so gut an der TAPP Coalition finde, ist die Tatsache, dass sie ein deutliches Signal ist, dass ein gesellschaftlicher Wandel stattfindet. Das ist ausgezeichnet, und es ist genau das, was wir mit IFOAM Organic 3.0 bewirken wollen.
Wir möchten, dass die Bio-Bewegung und andere Gruppen aufeinander zugehen. Es besteht doch Einigkeit darüber, dass Lebensmittel nicht nur irgendein Rohstoff sind, sondern dass sie einen sehr großen Einfluss auf unser Leben, unsere Gesundheit, die Umwelt, andere Spezies und nicht zuletzt auf Reichtum und Armut in der Welt haben. Und deshalb ist es so wichtig, gemeinsam auf den gleichen Horizont hinzuarbeiten, mehr noch, als wir es bereits tun.
Ich stelle mir oft einen Marsch vor, bei dem sich stetig andere Menschen anschließen und wir alle gemeinsam in Richtung Transformation gehen. Aber ich denke, es ist auch notwendig, dass jeder seine eigene Identität behält, um die Vielfalt zu erhalten, denn das macht uns stark.
Es scheint ein Konsens darüber zu bestehen, dass Tiere besser behandelt werden müssen und dass wir angemessene Preise brauchen. Selbst Politiker denken darüber nach. Sind ein europäisches Tierschutzlabel und die Strategie `Farm to Fork` Lösungen?
Jeroom Remmers:
Ich denke, es liegt noch ein langer Weg vor uns, ich schätze, dass wir die ersten 20 % inzwischen geschafft haben. Natürlich gibt es auch Widerstände z.B. aus der Pestizid- und Düngemittelindustrie. Das ist ein Grund mehr, sich zusammenzuschließen und unsere Politiker zu überzeugen. Teile unserer Vorschläge werden bereits von der EU-Kommission aufgegriffen.
Sie sind sich einig, dass Fleisch jetzt zu billig ist und dass es Maßnahmen geben muss, um dies zu beenden. Aber das muss in den Gesetzen aller EU-Mitgliedsländer umgesetzt werden. Wir werden dabei Unterstützung leisten.
Louise Luttikholt:
Es gibt heute bereits viele Bruchstellen im vorherrschenden System. COVID hat dies noch deutlicher gemacht, z.B. durch die Zustände in den Schlachthäusern. Und es zeigt sich, wie dieses System von der Massentierhaltung, von Dumpingpreisen und von der Ausbeutung von Arbeitern abhängt. Die Menschen erkennen dies immer mehr, das wird uns helfen, schneller voranzukommen. Es ist sehr wichtig, dass wir für diese Transformation bereit sind, denn diese gegenwärtigen Verhältnisse sind nicht mehr länger tragbar. Vielen hat es schon die Augen geöffnet.
Gerne möchte ich jedoch, das Bild weiter fassen. Wir sprechen über dieses faire Preisesystem und Fleischsteuern aus der Perspektive unserer nördlichen Hemisphäre und des westlichen Lebensstils. Und gleichzeitig gibt es so viele Menschen auf der Welt, die keinen Zugang zu nahrhaften Lebensmitteln haben.
Wir sollten nicht den Eindruck erwecken, dass Bio nur für die Reichen ist.
The Collective and Eco-Village Timbaktu and the Dairy Akshayakalpa show successful ecological models.
Jeroom Remmers: Nein, natürlich nicht. Die Weltbank hat im Februar letzten Jahres einen Bericht veröffentlicht, dass für eine faire und gesunde Ernährung weltweit alle ungesunden Produkte, einschließlich Fleisch und zuckerhaltige Getränke, besteuert werden müssen.
Steuern haben sich als starker Hebel erwiesen. Andernfalls werden Fettleibigkeit und andere Zivilisationskrankheiten durch ungesunde Ernährung schneller zunehmen, auch in Ländern mit niedrigem Einkommen.
Wo sehen Sie konkrete Ansatzpunkte, Bio und Tierschutz sowie eine nachhaltige Transformation, sprich eine Agrar- und Ernährungswende gemeinsam voranzubringen?
Jeroom Remmers:
Wir können in dieser Welt nur überleben, wenn wir unseren Ernährungsstil ändern.
Und genau das ist das Ziel der TAPP-Koalition. Ich habe gelernt, dass der Bio-Sektor eine Menge gute Arbeit in der nachhaltigen Landwirtschaft und im Tierschutz geleistet hat. Ich denke, dass es ein guter nächster Schritt ist, sich in einer großen Koalition zusammenzuschließen, um die Politiker zu zwingen, wirksame Gesetze wie Fleischsteuern umzusetzen.
Und wir müssen wirklich deutlich machen, dass wir in einer Biodiversitäts- und Klimakatastrophe enden, wenn wir nicht sehr bald handeln.
Louise Luttikholt: Es ist fantastisch zu sehen, dass die TAPP Coalition die „wahre“ Kostenberechnung in die Praxis umsetzt.
Ich denke auf jeden Fall, dass unsere beiden Organisationen in die gleiche zukunftsorientierte Richtung gehen. Es ist so wichtig, viele Stimmen von verschiedenen Ecken zu hören, um gemeinsam zum gemeinsamen Ziel zu kommen - einer wirklich nachhaltigen Transformation. Stronger. Together.
Das Interview führte Karin Heinze, BIO Reporter International
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