top of page
  • AutorenbildBiO ReporterIn

"Bio wirkt" … maßgeblich für den Erhalt der Biodiversität.

Aktualisiert: 11. März 2020

Dr. Vandana Shiva ist eine unermüdliche Botschafterin der Bio-Bewegung und für Biodiversität. In diesem ausführlichen Interview für die #Biofach 2020 zum Schwerpunktthema #BioWirkt spricht Sie über Ihre Arbeit, Erkenntnisse und was es noch zu tun gibt. #Biodiversität #Bio



Biodiversität ist die Grundlage des Lebens. Das ist die Wahrheit und das entschiedene Bekenntnis von Dr. Vandana Shiva. Sie ist eine weltweit anerkannte Umweltvordenkerin, Bio-Aktivistin, Feministin, Physikerin, Philosophin, Schriftstellerin und Wissenschaftspolitikerin. In zahlreichen Büchern sowie in unzähligen Dokumentationen und Vorträgen während ihrer unzähligen Reisen rund um die Welt, engagiert sich Dr. Vandana Shiva für den Erhalt der Biodiversität, der Saatgutsouveränität und der Ernährungssicherheit durch Ökologie und biologischen Landbau. Gleichzeitig kämpft sie vehement gegen das so genannte „Giftkartell“ der Saatgut- und Pestizidindustrie sowie gegen Biopiraterie. Sie gründete die Research Foundation for Science, Technology and Ecology (RFSTE) und Navdanya (140 Saatgutbanken in Indien). Sie erhielt unter anderem den Right Livelihood Award (Alternativer Nobelpreis). In ihrem aktuellen Buch "Eine andere Welt ist möglich" skizziert sie die Vision einer pestizidfreien Welt bis 2030. Dr. Shiva ist überzeugt: „Die Weltdemokratie beginnt mit der Ernährungsdemokratie!“


Dr. Shiva, Sie sind eine unermüdliche Verfechterin der Erhaltung und Förderung der biologischen Vielfalt und des traditionellen Wissens in der Landwirtschaft und der Ernährungssicherheit. In einem ihrer kürzlich veröffentlichten Tweets heißt es: "Die Maximierung der biologischen Vielfalt in der Landwirtschaft erhöht die Klimaresilienz, die Ernährungssouveränität und die Wasserversorgung. Können Sie uns bitte erklären, welche Rolle die biologische Vielfalt und die ökologische Arbeit der Kleinbauern für das Gleichgewicht des Planeten spielen, warum müssen wir so dringend die Biodiversität erhalten?

Die Biodiversität ist die Grundlage des Lebens. Chemikalien, die aus fossilen Quellen stammen und für Kriege und zur Tötung von Menschen verwendet wurden, sind später als Agrochemikalien, Pestizide, Düngemittel und Herbizide weiterverwendet worden. Die chemische Intensivierung der Landwirtschaft ist für den Klimawandel und das Artensterben - Insekten, Vögel, Fische, Pflanzen - verantwortlich. Rachel Carson hatte uns schon vor mehr als einem halben Jahrhundert vor den Gefahren von Pestiziden gewarnt. Und Albert Howard hat uns in seinem landwirtschaftlichen Testament vor den Schäden durch synthetische Düngemittel gewarnt und die Notwendigkeit der Umstellung auf den ökologischen Landbau betont. Der Einsatz von Chemikalien hat Monokulturen gefördert sowie die Illusion, dass Monokulturen den "Ertrag" erhöhen, und die höheren Erträge einiger weniger Rohstoffe notwendig sind, um die Welt zu ernähren. Das ist falsch, wie ich in meinem Buch "The Violence of the Green Revolution" (*1) gezeigt habe.

Wie wir in „Health per Acre“ (*2) bewiesen haben, ist das wahre Maß der Lebensmittelproduktion die "Ernährung pro Hektar" und nicht der "Ertrag pro Hektar". Mit der Intensivierung der Biodiversität anstelle der chemischen Intensivierung erhöhen wir die Ernährung pro Hektar und können mehr Menschen mit gesunder Ernährung versorgen. Die Biodiversität sorgt zudem für die Bodenfruchtbarkeit und bekämpft Schädlinge und Unkräuter.


Der Ertrag ist ohnehin ein falsches Maß, denn er ist kein Maßstab für die Pflege des Bodens. Entscheidend ist "nicht der Ertrag der Ernte", sondern der Zustand, in dem das Ackerland zurückgelassen wird". Den Boden nach der Ernte in einem guten Zustand zu belassen, bedeutet, ihn wirklich zu pflegen. Chemische Düngemittel hinterlassen das Land schlecht, zerstören die tatsächliche Produktivität und damit die zukünftige Nahrungsmittelproduktion.


Entgegen dem Mythos, dass Kleinbauern und ihre artenreichen agroökologischen Systeme ausgemerzt werden sollten, weil sie unproduktiv sind, und man die Zukunft unserer Nahrungsmittelproduktion in die Hände des „Giftkartells" (Agro-Industrie)  legen sollte, ist es Fakt, dass Kleinbauern 80% der weltweiten Nahrungsmittel mit nur 25% der Ressourcen, die in die Landwirtschaft fließen, liefern. Die industrielle Agrarwirtschaft hingegen verbraucht 75% der Ressourcen und liefert nur 20% unserer Lebensmittel. (*3)

Was ebenfalls weitgehend ignoriert wird, ist die Tatsache, dass die Herstellung von Kunstdünger sehr energieintensiv ist und dies ein Hauptverursacher des Klimawandels ist. Ein Kilogramm Stickstoffdünger benötigt das Energieäquivalent von zwei Litern Diesel. Der Energieverbrauch bei der Düngemittelproduktion im Jahr 2000 entsprach 191 Milliarden Liter Diesel und wird bis 2030 auf 277 Milliarden geschätzt. Ein Kilogramm Phosphatdünger benötigt einen halben Liter Diesel. (Shiva, Soil not Oil, 2008, *4). Da synthetische Düngemittel auf fossilen Brennstoffen basieren, tragen sie zudem zur Störung des Kohlenstoff- sowie des Stickstoffkreislaufs bei. Lachgas ist 300 Mal destabilisierender als Kohlendioxid. 50% aller Treibhausgase werden aus der industrialisierten, globalisierten Nahrungsmittelproduktion freigesetzt.

Chemische Düngemittel stören auch den Wasserkreislauf, die chemische Landwirtschaft benötigt zehnmal mehr Wasser, um die gleiche Menge an Lebensmitteln zu produzieren wie der biologische Landbau: Zudem wird die Wasserspeicherkapazität des Bodens verringert und das Wasser in Flüssen und Ozeanen verschmutzt.

Hingegen baut die Rückführung von organischer Substanz in den Boden Kohlenstoff und Stickstoff auf. Eine kürzlich von uns durchgeführte Studie zeigt, dass der biologische Landbau den Gehalt an organischer Substanz um bis zu 99 % und den Stickstoffgehalt des Bodens um 44 -144 % erhöht hat, je nach Kultur.


Sie haben Navdanya - das bedeutet "Neun Samen" oder "Neues Geschenk" - in den 90er Jahren gegründet und 140 Saatgutbanken in ganz Indien wurden von Ihrer Stiftung Research Foundation for Science, Technology and Ecology (RFSTE) aufgebaut. Was war die Hauptmotivation für diese Maßnahmen im Hinblick auf die biologische Vielfalt?

Ich fing an Saatgut zu retten, als die chemische Industrie 1987 auf einer Sitzung über "Laws of Life" zu den neuen Bio-Technologien erklärte, dass sie GVO (Gentechnik) einführen würde, um Saatgut zu patentieren und man an einem globalen System für geistiges Eigentum arbeite, um Patente auf Saatgut weltweit verbindlich zu machen. Ein Patent bedeutet, dass jeder andere, der das, was patentiert ist, benutzt, illegal handelt. Mit anderen Worten: Landwirte, die das Saatgut gezüchtet haben das uns ernährt, werden für die Erhaltung von Saatgut kriminalisiert.

Mit Navdanya haben wir 140 gemeinschaftliche Saatgutbanken geschaffen, damit die Biodiversität von Saatgut und die unabhängige Weiterentwicklung geschützt werden, sowie die Rechte der Landwirte auf Erhaltung und freien Austausch ihres Saatguts verteidigt werden können. Ich habe an den indischen Gesetzen mitgewirkt, die die Integrität von Saatgut und die Rechte der Landwirte schützen. Artikel 3j unseres Patentgesetzes besagt, dass Pflanzen, Tiere und Samen keine menschlichen Erfindungen und daher nicht patentierbar sind. Artikel 39 unseres Gesetzes über den Schutz von Pflanzensorten und die Rechte der Landwirte, an dessen Ausarbeitung ich mitgewirkt habe, besagt, dass das Recht der Landwirte, Saatgut zu konservieren, auszutauschen, zu verbessern und zu verkaufen, niemals entzogen werden darf. Dieses Gesetz wurde verwendet um Pepsi zu zwingen, sein Verfahren gegen vier Landwirte zurückzuziehen und sie auf je 10 Millionen Rupien für die Erhaltung von Kartoffelsorten zu verklagen.

Wir engagieren uns auch in Gandhis Satyagraha, dem gewaltfreien beharrlichen Festhalten an der Wahrheit, um Gesetze zu verhindern, welche die biologische Vielfalt und die Rechte der Bauern zerstören würden. Im Jahr 2004 haben wir ein Saatgutgesetz gestoppt. Wir beginnen mit einem Seed Satyagraha gegen ein neues Saatgutgesetz, das GVO vorantreiben und die Kontrolle der Unternehmen erhöhen würde. (*4)


Bio wirkt - auf vielen Ebenen. Wie trägt der biologische Landbau zum Schutz und zur Förderung der biologischen Vielfalt bei? Wie schätzen Sie den heutigen Einfluss und das Zukunftspotenzial ein?

Der biologische Landbau arbeitet daran, mehr Bio-Lebensmittel zu produzieren und gleichzeitig die Biodiversität zu erhalten und zu erweitern. Bei Navdanya haben wir den biologischen Landbau immer auf der Grundlage der Biodiversität gefördert, was die Nährstoffversorgung des Bodens und die Ernährungssicherheit der Menschen erhöht. Die biodiversitätsintensive Landwirtschaft hat die Vielfalt der Böden sowie die Artenvielfalt der Insekten und Bestäuber gesteigert - was ebenfalls äußerst wichtig ist. Und wie unser Manifest zu Food For Health zeigt, verbessert die biologische Vielfalt die Gesundheit der Menschen und die Gesundheit der Umwelt. (*5)

Chemische Monokulturen hingegen töten Insekten, zerstören den Regenwald des Amazonas um GVO-Sojabohnen anzubauen, sie desertifizieren den Boden. Sie haben eine ökologische Notlage geschaffen, eine Gesundheitskrise, eine Klimakrise, eine Wasserknappheit, eine landwirtschaftliche Problemsitation. Der biologische Landbau bietet Lösungen für die verschiedensten Notsituationen.

Was ist am dringendsten, um die dramatischen Auswirkungen des Artensterbens zu stoppen?

Wir können damit beginnen, das Artensterben zu stoppen, indem wir Biodiversität anbauen und Vielfalt essen, indem wir unsere Häuser, Gemeinden und Regionen giftfrei machen. Aus diesem Grund hat Navdanya eine Kampagne für giftfreie Lebensmittel und Landwirtschaft gestartet. (*6)


An wen würden Sie sich zuerst wenden und was sind Ihre Hauptforderungen?

Meine Hauptforderung ist eine giftfreie Welt, die die Biodiversität der Arten, die Gesundheit unserer Bauern und die aller Menschen schützt. Sie breitet sich von den lokalen Erzeugern in die ganze Welt aus. Wir müssen die Vorstellung von der Ernährung der Welt ändern und erkennen, dass die biologische Vielfalt uns ernährt. Bestäuberinsekten „produzieren“ ein Drittel der Nahrung, die wir zu uns nehmen, Regenwürmer ernähren uns, Kleinbauern liefern den größten Teil der Nahrung, die wir essen. (*7)

Wir müssen aber auch auf die neuen Tricks aufpassen, auf die Industrialisierung der Landwirtschaft und der Ernährungsindustrie durch digitale Landwirtschaft, auf künstliche Lebensmittel und eine falsche Art von Wirtschaft wie zum Beispiel Zero Budget Farming. (*8).

Wir müssen vielmehr eine lokale, zirkuläre, artenreiche Ernährungswirtschaft schaffen, um den Planeten, unsere Lebensgrundlagen und unsere Gesundheit zu schützen und die Demokratie zu stärken. Die Weltdemokratie beginnt mit der Ernährungsdemokratie!


Das Interview führte Karin Heinze, BiO Reporter International.




Vita

Vandana Shiva wurde am 5. November 1952 in

Uttarakhand/Nordindien geboren.

Sie studierte Physik in Indien und Philosophie in

Kanada und den USA.

Später forschte sie interdisziplinär in den Bereichen

Wissenschaft, Technologie und Umweltpolitik in

Indien. 

Sie war Vorstandsmitglied des International Forum

on Globalization und erhielt 1993 den Right Livelihood Award (Alternativer Nobelpreis).

Dr. Shiva gründete die Research Foundation for Science, Technology and Ecology (RFSTE) und Navdanya

2004 gründete sie Bija Vidyapeeth, ein internationales College für nachhaltiges Leben im Doon Valley, in Zusammenarbeit mit dem Schumacher College, Großbritannien. 

Vandana Shiva hat mehr als 20 Bücher geschrieben, wurde in Filmen interviewt und hält Vorträge auf vielen Konferenzen.

Ihr Büro ist in Delhi, sie bereist die Welt in ihrer Mission.


Quellen und weiterführende Literatur:

*1 Vandana Shiva "The Violence of Green Revolution: Third World Agriculture, Ecology and Politics"

*7 Vandana Shiva "Who Really Feeds the World?: The Failures of Agribusiness and the Promise of Agroecology"

64 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
bottom of page