Die Biofach ist auf Wunsch vieler Aussteller in den Sommer vertagt, doch die aktuellen Branchenzahlen wurden am ursprünglichen Februar-Termin des Bio-Branchentreffs online präsentiert. Danila Brunner, Leiterin des Messe-Duos Biofach und Vivaness freute sich über das sehr rege Interesse an den Zahlen und Fakten zur Branche. Sie fasste die allgemeine Tendenz der Entwicklung national wie international mit den Worten zusammen: „Bio entwickelt sich positiv-dynamisch, steht aber auch vor Herausforderungen. Wir erleben eine große Transformation." Im Detail gingen Diana Schaak, Marktanalystin, Agrarmarkt Informations-Gesellschaft, AMI, Tina Andres, Vorstandsvorsitzende BÖLW (Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft) und Klaus Braun, Gründer, Klaus Braun Kommunikationsberatung auf den deutschen Bio-Markt ein, präsentierten Zahlen und Fakten und analysierten diese.
Zahlen und Analyse der AMI: LEH gewinnt, NEH verliert
Einen Überblick über den Verlauf des Gesamtmarktes mit einem Vergleich zwischen Bio- und konventionellen Absatzkanälen gab Diana Schaak, AMI. Erwartungsgemäß konnte die Umsatzexplosion aus dem ersten Corona-Jahr von über 22 % Umsatzzuwachs für Bio-Produkte über alle Vertriebskanäle nicht gehalten werden. Immerhin legte der Bio-Umsatz 2021 um 5,8 % auf 15,87 Mrd. Euro zu. Die vom Arbeitskreis Biomarkt ermittelten Zahlen zeigen, dass vor allem der LEH, einschließlich der Drogeriemärkte von den Ausgaben der Konsumenten für Bio-Produkte stark profitierte und mit 9,1 % den größten Zuwachs auf 9,88 Mrd. Euro erreichte. An zweiter Stelle, mit 7,4 % Zuwachs, bauten Bäckereien, Metzgereien, Wochenmärkte, Hofläden, Reformhäuser etc ihren Umsatzanteil auf 2,41 Mrd. Euro am Gesamtmarkt aus, während der Naturkostfachhandel erstmals einen Umsatzrückgang von 3,3% auf 3,58 Mrd. Euro hinnehmen musste.
Neben den Umsatzzahlen ging Diana Schaak auf die prekäre Lage der Erzeuger ein. Die Umstellungswelle hat sich abgeflacht - es kamen 2021 nur 320 neue Bio-Betriebe und knapp 82.000 ha Bio-Fläche hinzu: Die Nachfrage übersteigt in etlichen Warengruppen das Angebot. Außerdem steigen die Preise für Betriebsmittel, Energie und Transport, während der Handel noch wenig auf die Anstiege der Produktionskosten mit Preiserhöhungen reagiert.
Bio-Anteil wächst weiter in den Produktgruppen
Deutlich ist, dass der Bio-Anteil in vielen Warengruppen weiterhin nicht umerheblich steigt. Die Kategorien pflanzliche Milchalternativen und Fleischersatzprodukte heben sich jedoch mit einem jeweils über 60 %igen Wachstum deutlich ab. Allerdings hat auch hier der LEH die Nase vorn.
Hervorzuheben ist die Tendenz, dass gerade jüngere - Familien mit Kindern, junge Singles und Paare ohne Kind verstärkt zu den pflanzlichen Bio-Alternativen greifen. Insgesamt jedoch geht der Bio-Konsum quer durch alle Altersgruppen, das geht aus dem GfK Haushaltspanel aus dem Jahr 2020 hervor.
Die Topseller fasst auch der BÖLW zusammen: Die Nachfrage nach Öko-Fleisch, -Milchalternativen und -Butter stieg 2021 mit Umsatz-Wachstumsraten zwischen 14,6 % und 27 %. Der Bio-Anteil am Gesamtmarkt erreichte bei Pflanzendrinks 62,4 %, bei Fleischersatz 26,6 %, Eier stiegen auf knapp 17 %, Mehl auf über 15 %. Der Bio-Anteil am deutschen Lebensmittelmarkt erhöhte sich nach den vorläufigen Berechnungen auf 6,8 %.
„Weiter so“kein tragfähiges Erfolgskonzept für Naturkost-Fachhandel!
Klaus Braun, Experte für den Naturkost-Einzelhandel fand deutliche Worte zur Entwicklung und belegte diese mit Zahlen. Von den knapp 200 Euro Pro-Kopfausgaben für Bio-Lebensmittel in Deutschland landen nur noch etwa 43 Euro im Naturkostfachhandel, der Umsatzanteil am Gesamtmarkt schrumpft seit vielen Jahren. Er betonte: Von ehemals über 40% sei man jetzt bei 23% gelandet und musste 2021 ein Umsatzminus von 3,3% hinnehmen. Er forderte die Fachhandelsbranche auf, zukunftsweisende Strategien und neue Alleinstellungsmerkmale zu entwickeln, um diesen Trend zu beenden.
Als Gründe für die Entwicklung führte Klaus Braun auf, dass der Naturkosthandel immer mehr das Alleinstellungsmerkmal "Bio zu verkaufen" verliert. Denn immer mehr Unternehmen außerhalb des Fachhandels greifen diesen Trend auf, die Konkurrenz durch Bio-Sortimente und Bio-Handelsmarken im LEH und bei den Discountern nehme weiter zu. Hinzu kämen noch Herausforderungen im Marketing (Influencer/OnlineMarketing/Facebook u.a.)
Etwas anders sieht das der BNN (Bundesverband Naturkost Naturwaren), die Vertretung der Naturkostfachgeschäfte: In einer Pressemeldung zeigte sich der Verband recht zufrieden mit der Entwicklung und errechnete 4,21 Mrd. Euro Umsatz im Bio-Facheinzelhandel. Trotz eines Rückgangs im Vergleich zum Vorjahr von 3,7 %, liege der Umsatz noch rund 12 % über dem Vor-Corona-Jahr 2019 (3,76 Mrd. Euro). Im Drei-Jahres-Vergleich sei der Bio-Fachhandel seit 2019 jährlich um durchschnittlich 7 % gewachsen.
BNN-Geschäftsführerin Kathrin Jäckel wünscht sich von politischer Seite eine verstärkte Unterstützung für die Bio-Branche, die mit ihrer Vielfalt in Verarbeitung und Handel, ihren kleineren und handwerklichen Strukturen eine echte Konsumalternative zu konventionellen Großstrukturen bieten könne. „Die Pandemie hat in vielen Bereichen gezeigt, wie fragil globale Lieferketten sind. Für Versorgungssicherheit und die Stärkung der ländlichen Regionen sollte vor allem das Bio, das aus vielfältigen, dezentralen und resilienten Strukturen stammt, weiterwachsen. Dafür braucht es politische Maßnahmen, die die Erzeugung, Verarbeitung und den Absatz gesunder, bezahlbarer und nachhaltiger Bio-Lebensmittel nicht nur in ihrer Breite, sondern auch in ihrer Vielfalt und Qualität fördern“
BÖLW: „Für 30 % Bio bis 2030 braucht es jetzt endlich starke Politik“
„Die Gesellschaft ist bereit für eine nachhaltige Transformation und die Bio-Branche ist es auch. Mit Essen können wir die Welt verändern", erklärte Tina Andres, Vorstandsvorsitzende des Bio-Spitzenverbandes Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) auf der BioFach Bilanz-Pressekonferenz. Mehr Kundinnen und Kunden kauften auch 2021 mehr Bio. Mehr Bauern und Bäuerinnen, mehr Lebensmittelherstellerinnen und Händlerinnen setzten auf Öko. "Obwohl die Politik der letzten Jahre ziemlich öko-feindlich war“, sagte sie und ergänzte: “Es liegt jetzt an den Regierenden, allen voran Bundesminister Cem Özdemir, nicht nur 30 % Bio bis 2030 und Öko als Leitbild auszurufen, sondern alle erforderlichen Weichen für den Umbau unseres Agrar- und Ernährungssystems zu stellen. Öko ist das Herz dieses Umbaus. Denn Betriebe werden mit Bio zukunftsfest. Wertschöpfungsketten werden resilienter. Zudem mit Bio im Einkaufskorb essen die Menschen gesünder, gentechnikfrei und klimafreundlicher – ob zuhause oder in Kitas, Schulen oder Kantinen“, so Andres.
Sie betonte: „Die Ernährungswende muss jetzt der Energiewende folgen." Bio biete ein System, was heute schon auf tausenden Betrieben ökonomisch und ökologisch funktioniert, ein Kontrollsystem und eine Kennzeichnung mitbringt, die alle Lebensmittel vom Apfel übers Brot bis zur Wurst einschließt. "Die 30 % Bio bis 2030 sind schaffbar. Jetzt anpacken und damit auch die Ökologisierung der übrigen 70 % gleich mit auf den Weg bringen!“ appellierte sie an die Politik für eine entsprechende Weichenstellung. Die Transformation koste Geld, aber es nicht zu tun koste noch viel mehr, im schlimmsten Fall, die Zukunft der nächsten Generationen.
Bilder und Charts sind Screenshots aus der Online-Veranstaltung der BioFach / Vivaness
Karin Heinze, BiO Reporter International
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