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„Da müssen wir ran! Der Branche ist vollkommen bewusst wie bedrohlich der Klimawandel ist."

Aktualisiert: 9. Dez. 2020

Im Doppelinterview diskutieren BÖLW-Vorsitzender und Bio-Bauer Felix Prinz zu Löwenstein und Klima-Aktivistin Julia Thöring über Bio und Klimaschutz im Kontext des BioFach Kongressschwerpunkts Mottos "Shaping Transformation. Stronger. Together. Hierbei im Fokus: Wie die verschiedenen gesellschaftlichen Bewegungen und die Bio-Branche ihre Ziele gemeinsam noch besser erreichen können. Das Interview wurde im Auftrag der BioFach geführt, die vom 17.-19.Februar 2021 als eSPECIAL stattfindet.



Dr. Felix Prinz zu Löwenstein, die Klimakrise und deren Bewältigung sind seit einigen Monaten von der Pandemie etwas in den Schatten gestellt worden – doch Fakt ist, der Klimawandel macht keine Pause. Welchen Stellenwert hat das Thema in den Aktivitäten des BÖLW und wie setzt sich der Verband konkret für Klimaschutz ein?

Felix Löwenstein: Mein Eindruck ist, dass viele Bürger gerade die Corona-Krise zum Anlass nehmen sehr viel genauer hinzuschauen und darüber nachzudenken, wie wir mit unseren Ressourcen umgehen. Möglicherweise sind die begrenzten Kapazitäten der Politik von der Bewältigung der Pandemie eingenommen. Aber auch da nehme ich wahr, dass Politikern in vielen Ländern immer deutlicher wird: das Klima-Thema kann nicht warten. Was den BÖLW betrifft: Praktisch alle Bereiche, um die wir uns kümmern, sind unmittelbar mit dem Klimawandel verknüpft. Zwei Beispiele: Wenn sich die BÖLW-Mitgliedsbetriebe für die Erhaltung und Pflege der Biodiversität einsetzen, hat das direkten Einfluss auf Bodenpflege und Humusbildung und damit auf die Fähigkeit des Bodens CO2 zu speichern. Ein wichtiger Beitrag zur Bewältigung der Klimakrise. Ebenso wie ein weiteres Beispiel: Unsere artgerechte Bio-Tierhaltung kommt nicht nur dem Tierwohl zugute, sondern führt auch zu höheren Endverbraucher-preisen. In der Folge zu einem veränderten Verbraucherbewusstsein und -verhalten und damit zu weniger Fleischkonsum. Auf diese Weise wirkt Bio-Tierhaltung klimafreundlich.

Wenn wir uns also Gedanken machen, wie kann Landwirtschaft, A, klimaresilienter werden, B weniger Treibhausgase verursachen und C, mehr CO2 binden, so ist das alles schon immer im Ökolandbau-Paket inkludiert.

Und darüber hinaus, unterstützt der BÖLW die FFF Bewegung?

Felix Löwenstein: Dort, wo wir als BÖLW politisch wirken oder auch auf die öffentliche Bewusstseinsbildung in Form z.B. einer FFF Demo Einfluss nehmen können, tun wir das. Das Thema Klima steht ganz oben auf unserer Agenda. Wir sind natürlich im Kontakt mit den unterschiedlichsten Initiativen und eruieren, wo wir uns verstärken können. Insbesondere durch die Vernetzung von Persönlichkeiten der Bewegungen untereinander ist das bestens möglich. Unsere teils sehr aktiven Mitgliedsunternehmen, vernetzen sich an ihren Standorten mit lokalen Gruppen und nehmen zuständige Politiker vor Ort in die Pflicht. Einige haben sich zudem den „Entrepreneurs for Future“ angeschlossen, ebenso wie „Farmers for Future“ oder „Scientist for Future“.

Uns als Branche, deren Aufgabe es ist, Bio-Lebensmittel herzustellen, ist vollkommen bewusst wie bedrohlich der Klimawandel für die gesamte Wertschöpfungskette der Betriebe ist, die wir vertreten. Schon daraus ergibt sich unabdingbar: Da müssen wir ran!

Frau Thöring, Sie sind bei FFF aktiv und widmen sich insbesondere den Zusammenhängen von Landwirtschaft und Klimakrise – erklären Sie uns bitte kurz, welche Aktivitäten organisiert FFF über die Klimastreiks hinaus und in welcher Form sind Sie aktiv.

Julia Thöring: Fridays for Future is back. Es ist sehr interessant wahrzunehmen, dass es offenbar eine große Herausforderung ist, mehrere Krisen auf einmal zu denken und vor allem, sie im Zusammenhang zu sehen. Da tut sich insbesondere die Politik recht schwer. Eine bundesweite FFF-Arbeitsgruppe zum Thema Landwirtschaft hat sich im Anschluss an die „Wir haben es satt“ Demo im Januar in Berlin gegründet.

Unser Ziel ist es, den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Landwirtschaft zu beleuchten, da dieser Bereich in der Wahrnehmung der Klimagerechtigkeitsbewegung weit hinter den anderen Themen wie beispielsweise dem Energie- oder Verkehrssektor zurückliegt.

In unserer Gruppe beschäftigen wir uns unter anderem mit den anstehenden nationalen und europäischen politischen Entscheidungen, wie der GAP-Reform (Gemeinsame Agrarpolitik der EU). Wir halten dabei den Kontakt zu anderen Initiativen wie z.B. dem BUND.




Wo stehen Sie mit Ihren Aktivitäten?

Julia Thöring: Wir haben bereits im Mai mit Gruppen aus 11 anderen EU-Ländern einen offenen Brief an den Vizepräsidenten der EU-Kommission Frans Timmermans geschrieben und in einem virtuellen Treffen den Appell an ihn gerichtet, umgehend Maßnahmen für eine Klimaneutralität des Agrarsektors bis 2035 einzuleiten.

Wir sind der Ansicht, dass die GAP ein ziemlich großer Hebel ist, immerhin gehen fast 40% des EU-Haushalts in den Agrarsektor.

Prinz zu Löwenstein, haben Sie den Eindruck, mit FFF einen neuen Bündnispartner gewonnen zu haben, um dicke Bretter zu bohren?

Felix Löwenstein: Wir freuen uns über jede Interessengruppe, mit der wir zusammen unsere Anliegen verbreiten und vertreten können. Doch müssen wir auch klug mit unseren Kräften umgehen – man überfordert diese leicht in der Vernetzungsarbeit.

FFF hat sich als eine so wirkmächtige Aktion herausgestellt, dass sie unserer Unterstützung nicht bedarf.

Wir haben in anderen Zusammenhängen – da ging es um die Gentechnik – erlebt, wie wirkungsvoll es ist, wenn wir ein Thema aus möglichst vielen Richtungen der Gesellschaft anpacken und die Politik damit konfrontieren, wir uns dabei jedoch immer gegenseitig informieren und über die weitere Strategie beraten. Darüber hinaus bin ich sehr froh über die FFF-Initiative zur Landwirtschaft, denn die Zusammenhänge zwischen Lebensmittel-erzeugung und -konsum, einer notwendigen Agrar- und Ernährungswende und der Klimagerechtigkeit sind einfach zu wichtig, um nicht ihren Platz in der FFF-Bewegung zu haben.


Kann die insgesamt sehr junge und „unverbrauchte“ FFF-Bewegung mit ihren sehr konkreten Forderungen mehr erreichen, als etablierte Bio-Verbände?

Felix Löwenstein: Das ist sicherlich so. Zumal man beim BÖLW erst einmal davon ausgeht, dass es ihm um die Vertretung der wirtschaftlichen Interessen seiner Mitglieder geht.

Der Klimagerechtigkeits-Bewegung unterstellt man – zu Recht – dass sie im Interesse der Allgemeinheit und dem der nachfolgenden Generationen handelt.

Der BÖLW ist tatsächlich ein nationaler Wirtschaftsverband – aber gleichzeitig sind wir auch ein aktiver Teil der weltweiten Bio- und Umweltbewegung.


Julia Thöring: Aus der FFF-Perspektive zählt in erster Linie, das im Pariser Klimaabkommen festgelegte Ziel zur Begrenzung der Erderwärmung auf maximal 1,5°C einzuhalten und zu einer Klimaneutralität bis 2035 zu kommen. Das brechen wir auf die einzelnen Sektoren herunter und dabei geht es nicht in erster Linie um Bio oder Nicht-Bio, sondern darum, wie viele Emissionen aus der Landwirtschaft kommen und welche Maßnahmen braucht es, um diese zu reduzieren.

100% Bio bedeutet ja nicht automatisch 100% klimaneutral.

Bio ist nicht automatisch klimaschonend?

Felix Löwenstein: Das stimmt. Auch in der ökologischen Landwirtschaft muss noch eine ganze Menge passieren. Zum Beispiel muss die Landwirtschaft ihren Energieverbrauch emissionsfrei gestalten. Sobald solche technischen Lösungen da sind, muss der Ökolandbau diese nutzen. Hoffentlich zeitnah werden Bio-Bauern ihre Traktoren mit Wasserstoff betreiben, alle geeigneten Dachflächen mit Photovoltaik ausgestattet haben und CO2 durch intensive Bodenpflege und Humusaufbau speichern, um Klimaneutralität zu erreichen.

Öko-Landbau ist als System und im Durchschnitt bei allen die Klimawirksamkeit betreffenden Parametern messbar besser.

Aber im Einzelnen sind gute konventionelle Betriebe besser als schlechte Bio-Betriebe. Aber auch wenn Bio nicht perfekt ist: wer daraus schließt, man müsse Bio zu den Akten legen und etwas ganz Neues entwickeln, dafür Richtlinien, Labels und einen Markt, der plädiert für einen Rückschritt. Es geht darum, das existierende Bessere zu fördern, anstatt auf nicht existierendes Perfektes zu setzen. Deshalb: es geht darum, durch Wissenschaft und Verbreitung fortschrittlicher Praxis Bio zu verbessern. Aus diesem Grund ist es auch so wichtig, mit allen möglichen Gruppierungen im Dialog zu bleiben, um ihnen deutlich zu machen, welches Potenzial im systematischen Ansatz Öko-Landbau liegt und was wir tun können um diese Möglichkeiten weiterzuentwickeln.


Stichwort Dialog. Wie ist die Stimmung innerhalb der Klima-Bewegung gegenüber der Bio-Bewegung. Wo gibt es Ihrer Ansicht nach gemeinsame Ansatzpunkte, wo liegen die Barrieren?

Julia Thöring: Das Thema ist tatsächlich sehr komplex.

Wir diskutieren relativ viel über unser individuelles Konsumverhalten, lassen dabei jedoch oft die Erzeugung von Lebensmitteln außen vor.

Da ich mich durch mein Studium ganz intensiv gerade mit diesem Thema beschäftige, kann ich persönlich nur sagen, dass Öko-Landbau sicherlich besser für die Biodiversität, den Boden, den Menschen ist. Dass das Konzept Bio dabei eine wichtige Rolle spielt, ist bei FFF angekommen und wir stehen dem sehr offen gegenüber. Doch kaufen nicht alle FFF-Mitglieder automatisch Bio. Neben der Erzeugung sind da ja auch noch Themen wie Regionalität und Logistik einzubeziehen.


Felix Löwenstein: Da bin ich ganz Deiner Meinung, Julia. Zudem darf die Politik die Verantwortung für ein klimafreundliches Verhalten nicht allein auf den Konsumenten abschieben. Aber ich bin der Überzeugung, dass Transformation auf Pfaden geht. Es läuft ja nicht so, dass heute ein Schalter umgelegt wird und morgen leben wir in einer anderen Welt.

Dem Verbraucher und seiner individuellen Verantwortung kommt in der Entwicklung von Umbrüchen eine ganz besonders wichtige Rolle zu. Er fordert und fördert mit seinem Konsumverhalten - und Konsumenten sind wir alle.

Haben Sie den Eindruck, dass der Druck auf unser politisches System in Deutschland, Europa, weltweit ausreicht, um gesetzliche Veränderungen in der Bewältigung der Klimakrise herbeizuführen?

Julia Thöring:

Keine Partei, keine Regierung und kein Land hat auch nur ansatzweise eine Strategie, um der Klimakrise zu begegnen und um das 1,5°C Ziel einzuhalten.

Es gibt noch keinen konkreten Fahrplan, auch wenn in der EU gerade mit Klimaneutralität bis 2050 etwas größere Schritte gewagt werden. Aus unserer Sicht reichen diese aber bei weitem nicht aus. Die Reduktion von Emissionen ist ja nur ein Baustein. Ein Narrativ zu einer echten Klimagerechtigkeit, einer Verantwortung der Industrieländer gegenüber den Ländern des globalen Südens fehlt bisher komplett. Wir sind sogar von einer Debatte darüber noch meilenweit entfernt.

Felix Löwenstein: Ja, da stimme ich voll und ganz zu.

Wir hinken sehr sehr weit hinter dem her, was schon längst hätte erreicht werden müssen. Mein Eindruck ist, die Bürger bzw. Wähler sind sehr viel weiter als die Politik.

Hier möchte ich gerne an letztere appellieren: ihr müsst euch viel mehr trauen, beherzte Schritte zu gehen, denn die Mehrheit der Zivilgesellschaft hat verstanden, dass eine zögerliche Klimapolitik ins Verderben führt.


Wo sehen Sie konkrete Ansatzpunkte, Bio und die Klimaschutzbewegung für eine nachhaltige Transformation, sprich eine Agrar, - Ernährungs- und Klimapolitikwende zusammen-zubringen? Was wünschen Sie sich voneinander?

Julia Thöring:

Fest steht, dass ein „Weiter wie bisher“ keine Zukunft hat und die bisherigen Methoden und Strategien nicht mehr ausreichen, um die Krisen zu bewältigen. Als Klimaaktivistin im Landwirtschaftsbereich wünsche ich mir, dass die Bäuerinnen und Bauern hierzulande, aber auch die Millionen von Kleinbauern weltweit mehr Wertschätzung erfahren.

Sie sind zum einen sehr häufig stärker betroffen vom Klimawandel, zum anderen müssen wir sie eigentlich als Hoffnungsträger und wichtigen Baustein für die Lösung der Klimakrise sehen. Sie brauchen Unterstützung, um ihre Betriebe zukunftsfähig und klimaneutral auszurichten. Sowohl für den Dialog zwischen den Gruppierungen, als auch Sensibilisierung für die Probleme und die Wichtigkeit der Landwirtschaft können die Bio-Verbände eine gute Schnittstelle sein. Es ist so wichtig Brücken zu bauen.


Felix Löwenstein:

Ich nehme wahr, dass die Politik immer öfter einfach zu Labels greift und es dann dem Verbraucher überlässt zu entscheiden. Auf diese Weise drückt sie sich um ihre Pflicht, zu gestalten.

Deswegen ist richtig, wenn Ihr Euch an die EU wendet, wie ihr es mit Eurem Schreiben an Timmermans getan habt. Denn in Brüssel wird die Musik komponiert, nach der wir tanzen. Allerdings kommt mir vor, dass die EU-Kommission eher zum Umbau drängt. Die Mitgliedsstaaten sind hingegen die Bremser, deshalb wäre mein großer Wunsch an FFF, sich auch ganz gezielt an unsere Ministerin Julia Klöckner zu wenden und Druck zu machen.


Das Interview führte Karin Heinze, BiO Reporter International

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