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We are Volcanoes – Öko-Visionärinnen des 20.Jahrhunderts

Aktualisiert: 24. Apr.

Die renommierte Wissenschaftsjournalistin Charlotte Kerner stellt in ihrem Buch „We are Volcanoes“ (Wir sind Vulkane), das im April 2024 im Westend Verlag erschienen ist, drei Öko-Visionärinnen des 20.Jahrhunderts vor. In spannenden Portraits werden die drei US-amerikanischen Biologinnen Rachel Carson (1907-1964), Lynn Marulis (1938-2011) und die 1944 geborene Donna Haraway vorgestellt. Lange bevor Umweltthemen breit diskutiert wurden, warfen die Biologinnen grundlegende Fragen des Überlebens auf unserem Planeten auf. Sie beschrieben bereits die Gefahren, die wir heute als ökologische Krisen erleben aber auch neue Zusammenhänge, die den Planeten und die Natur als holistisches System darstellen. Ihre Aussagen und Denkmodelle sind aktueller denn je.


Charlotte Kerner: We are Volcanoes. Die Öko-Visionärinnen Rachel Carson, Lynn Margulis, Donna Haraway. Westend Verlag 2024


Grundstein für neues vernetztes Denken gelegt

Charlotte Kerner schildert in ihren einfühlsamen Kurzbiographien neben dem Werdegang von Carson, Marulis und Haraway auch Zeitgeschichte und die schwierige Stellung von Frauen in einer männerdominierten Gesellschaft. Vor allem aber macht sie deutlich wie die drei Wissenschaftlerinnen von ihren innovativen Ansätzen überzeugt, beharrlich disziplinäre Grenzen überschritten und dabei Erkenntnisse in Forschung, Evolutionstheorie, Philosophie und Soziologie zu einem schlüssigen neuen Denkansatz verknüpften.


Mit ihren Einsichten haben die drei Us-Amerikanerinnen unser Verständnis der Welt verändert, schreibt Charlotte Kerner. Carson, die gerne auch als Mutter der Öko-Bewegung bezeichnet wird, Margulis und Haraway waren „Vulkane“, die schon als Studentinnen unüberhörbar auf Bedrohungen für die Umwelt aufmerksam machten. Mit ihren Werken hätten die Autorinnen die „Landkarten des Denkens" dermaßen verändert, resümiert Kerner, dass man die Zeit vor und nach ihren Veröffentlichungen einteilen könne. Die Feststellung der Feministin und Philosophin Margulis ist beispielhaft dafür: „Die Geschichte des Lebens auf der Erde ist stets eine Geschichte der Wechselwirkung zwischen den Geschöpfen und der Umgebung gewesen.“

Autorin Charlotte Kerner


Bestseller über die Natur

Rachel Carson, die älteste der Öko-Visionärinnen, beschreibt Kerner als „leidenschaftlich, mitfühlend, die sich mit allen Sinnen als Teil der Natur wahrnimmt“, und eine faszinierende Beobachtungsgabe sowie großes Schreibtalent hatte. Schon in den 1950er Jahren, in ihrem zweiten visionären Buch zu den Ozeanen, sieht Carson den Anstieg des Meeresspiegels voraus, die Veränderung der Strömungen und die negativen Effekte von Schleppnetzen. Viele der alarmierenden Aussagen in ihren Büchern bewahrheiten sich heute: 2023 wurden weltweit die höchsten Temperaturen in den Ozeanen gemessen, stellt Kerner den Bezug zur Gegenwart her: “Carson schreibt in der Vergangenheit über eine Zukunft, die heute unsere Gegenwart ist.”


Carsons hat es trotz vieler Hindernisse geschafft, sich in ihrer Zeit mit ihren Büchern Gehör zu verschaffen und wirkt noch heute mit ihren aktuell gültigen Aussagen nach. Die Trilogie über das Leben in den Ozeanen wurde zum Bestseller, wie auch ihr letztes Werk „Silent Spring“ (erschienen 1962). Mit eindringlichen Schilderungen über die tödlichen Auswirkungen von Pestiziden auf das Ökosystem erreichte Carson große Aufmerksamkeit und löste sogar eine handfeste Debatte in der Politik aus (Kennedy-Ära). Das Buch gilt als eine Art Gründungsmanifest der modernen Öko-Bewegung und wird auch heute noch häufig zitiert. Bereits damals schlägt Carson vor, Schädlinge nicht mit Chemie zu bekämpfen, sondern mit Nützlingen, mit Duftstoff-Fallen, durch intensive Pflege des Bodens und den Verzicht auf Monokulturen. Doch nach wie vor verdienen Chemie-Konzerne ihr Geld mit Pestiziden und synthetischen Düngern und die Diskussion über die Schäden dieser Produkte für Gesundheit und Umwelt dauert an.


Bausteine für eine Frauen- oder Umweltbewegung

Obwohl damals weder eine reale Frauen- oder Umweltbewegung noch der Begriff Ökofeminismus existierten, entwarf Carson bereits ein ethisches Gerüst dafür. Sie geht subtil vor und hält den Menschen die Gefährdung der Natur in drastischer Weise vor Augen. Gleichzeitig zeigt sie brilliant die wunderbaren Verknüpfungen der Ökosysteme auf. Ihr daraus erwachsendes Fazit, dass mit staunender Erkenntnis die Lust an der Zerstörung vergehe und ein neues Verhältnis zwischen Mensch und Natur entstehen könne, geht allerdings nur zum Teil auf. Engagiert fordert sie die "Erdlinge" (Earthlings) auf, sich gegen die Natur-Gegner zu vereinigen. Die

Rachel Carson: Illustration im Buch     Zeitgeschichte begünstigt ihre Forderungen: Angesichts des Vietnamkrieges, des massiven Einsatzes von DDT und Agent Orange, findet Carson ihre Leserschaft und Mitstreiter. Freilich hat sie viele Politiker und die Chemiekonzerne gegen sich, sie wird zum Teil als Hexe diffamiert. Doch sie hat auch große Fans und inspirierte wichtige Menschen, z.B. Al Gore. Carson’s Einfluss auf die damals weltweit entstehende Umweltbewegung ist nicht zu unterschätzen. Zehn Jahre nach dem Erscheinen von Silent Spring findet die Stockholmer Umweltkonferenz statt und thematisiert erstmals die globalen ökologischen Probleme. Es folgen die Gründung des Earth Days bzw. des Earth Overshoot Days und die Ökologiebewegung formiert sich. Dennoch ist die Erde heute – trotz vieler eindringlicher Warnungen und ökologischer Gegenmodelle – an den planetaren Grenzen angekommen.


Entdeckerin der Welt der Mikroben

Die zweite Öko-Visionäring ist die Biologin Lynn Margulis. Sie widmet sich der Zellforschung und macht dort bahnbrechende Entdeckungen.

Ihre Endosymbiontentheorie über die Evolution von Zellbestandteilen (Plastiden, Mitochondrien) macht sie als Wissenschaftlerin bekannt. Gemeinsam mit dem britischen Forscher James Lovelock entwirft sie außerdem die Gaia-Hyphothese, die unseren Planeten als selbstorganisiertes, dynamisches Ökosystem beschreibt, das holistisch betrachtet werden muss. Mit der Gaia-Theorie wie mit der Symbiosen-Theorie revolutioniert Margulis die Sicht auf die Erd-Evolution. Jan Sapp, kanadischer Evolutionsbiologe, prophezeit sogar, dass Lynn Margulis: Illustration im Buch Darwin und Margulis einst mit ihren Theorien ebenbürtig nebeneinander stehen werden. Margulis postuliert: "es liegt in unserer Macht eine ganz andere Geschichte zu schreiben". Innerhalb der planetaren Grenzen sei vieles möglich und sinnvoll.

Auch eine Geschichte der Frauenbewegung

"We are Volcanoes" beschreibt in den drei Biografien auch die unterschiedlichen Pole in der Geschichte der Frauenbewegung, die Mitte der 1970er Jahre Fahrt aufnimmt. Donna Haraway, die dritte Forscherin, die Kerner deutlich als Feministin beschreibt, wächst in eine ganz andere Zeit als Carson hinein und wird von ihr beeinflusst. Sie übt soziokulturelle Kritik an der bestehenden Evolutionslehre und gleichzeitig an der Rolle der Männer in der Forschung. Sie stellten sich als objektiv und unfehlbar dar, seien jedoch in Wirklichkeit vom Geld und den Interessen der Industrie abhängig, so Haraway. Die noch lehrende Professorin befasste sich eingehend mit der Geschichte der Naturwissenschaft und


Donna Haraway, Illustration im Buch der Frauenforschung. Dabei legte sie den Fokus auf deren Überschneidungen mit vielen anderen Wissenschaftsdisziplinen und entwickelte eine Kulturgeschichte der Primaten im Kontext der Geschlechterrollen.

Auch Lynn Margulis war eine emanzipierte Evolutionsbiologin, ihr Fazit zum Thema Feminismus lautet: „Wo immer wir der Kultur den Spiegel der Natur vorhalten, sehen wir ein maskiertes Bild der Kultur.“ Carson ist als Wissenschaftlerin zwar emanzipiert, muss jedoch zeitlebens Hausfrauenpflichten für ihre Ursprungsfamilie übernehmen und ihre Mutter versorgen. Eine eigene Familie gründet sie nie. Verantwortung, Sorge und das Erkennen von natürlichen Zusammenhängen anstelle der Ausbeutung und Versklavung der Natur, das ist das Prinzip aller drei Frauen.


Am Ende ihres Lebens bleibt Carson, obwohl schwer krank, dennoch kämpferisch und versucht noch so viele Menschen wie möglich auf die Mißstände im kapitalistischen System aufmerksam zu machen: Die Natur werde bedroht von der “Gier und Kurzsichtigkeit” der Profitgierigen. Kerner zieht hier einen Vergleich mit Greta Thunbergs Ausruf vor der UN, “How dare you...” – wie könnt ihr es wagen den Planeten Erde immer weiter zu zerstören.” Beiden “ökologischen Kriegerinnen” gelingt es Menschen aufzurütteln, aber auch zu polarisieren, schreibt Kerner. Manche nennen Carson gar die “erste Greta.” Denn auch Carson sagt, jeder müsse sich mit den drängenden ökologischen Fragen auseinandersetzen, da die Menschheit vor nie gekannten Herausforderungen steht.


Zum Buch: Charlotte Kerner, "We are Volcanoes. Die Öko-Visionärinnen Rachel Carson, Lynn Margulis, Donna Haraway, erschienen 8.4.2024, 230 Seiten, ISBN 978-3-86489-442-8,

D: EUR 24,00


Rezension: Karin Heinze

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