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UPDATE: Abstimmung im EU-Umweltausschuss: Mehrheit für Deregulierung – EU-Parlament nicht an Votum gebunden

Aktualisiert: 25. Jan.

Bei der Abstimmung am 24.1.2024 haben sich die Mitglieder des Umweltausschusses (ENVI) des Europaparlamentes (EP) mehrheitlich gegen Kennzeichnung, Risikoprüfung und Koexistenzregeln für die meisten neuen Gentechnik-Pflanzen ausgesprochen. Das ist enttäuschend und verantwortungslos, denn gute Argumente, das bewährte Gentechnikrecht auch für NGTs aufrechtzuerhalten, liegen auf dem Tisch. Jetzt liegt es an den Europaparlamentariern sich eine eigene Meinung zu bilden und Anfang Februar gegen die Deregulierung zu stimmen. Auch unter den EU-Staaten gibt es bisher keine Mehrheit für die Gentechnik-Deregulierung.


Nach der Abstimmung im Umweltausschuss: Keine überzeugende Mehrheit für die Deregulierung. (Screenshot des Livestreams)


Katastrophe für Umwelt und Verbraucherschutz

Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament und Mitglied des Umwelt- und Gesundheitsausschusses sowie zuständiger Verhandlungsführer für die Grünen/EFA im Umweltausschuss, kommentiert zur Abstimmung über den Entwurf zu Neuer Gentechnik bei Pflanzen: „Das Ergebnis ist eine mittlere Katastrophe für Umwelt und Verbraucherschutz. Die Mehrheit der Abgeordneten im Ausschuss hat sich heute gegen eine weitere strenge Regulierung der Neuen Gentechnik ausgesprochen. Aus meiner Sicht ist das unangemessen und fahrlässig! Sie lassen damit die Risikoprüfung für diese Sorten, sowie die Kennzeichnung von Pflanzen und Lebensmitteln, die mit Neuer Gentechnik erzeugt wurden, unter den Tisch fallen. Eine Nachverfolgbarkeit dieser Pflanzen wird unmöglich sein.

Der gentechnikfreie Anbau - insbesondere der Ökolandbau - wird mit dieser Position mit Füßen getreten. Zwar soll der Einsatz von NGTs im Ökolandbau weiter verboten bleiben, doch wie damit umzugehen ist, wenn es zu Verunreinigungen von Biofeldern und -ware mit Gentechnik kommt, steht in den Sternen. Nach aktuellem Stand der Dinge gäbe es keinerlei Entschädigung für Landwirte und Verarbeiter, die Einkommenseinbußen durch verunreinigte Waren hinnehmen müssen. Lediglich Koexistenz-Maßnahmen, wie Abstandsregelungen, sollen die einzelnen EU-Mitgliedsländer individuell erlassen können. Wenn bei der Plenarabstimmung in zwei Wochen das Ergebnis genauso aussehen wird, sehe ich schwarz für einen regulierten Umgang mit der Neuen Gentechnik in der Landwirtschaft.

Auch wenn es anders kolportiert wird: die Patentfrage ist mit dem heute abgestimmten Text keinesfalls gelöst - der Text ist eine bloße Positionierung, die, wenn auch gut, rechtlich nicht bindend ist. Eine Änderung des Europäischen Patentabkommens liegt außerhalb des Einflusses der EU. Die wissenschaftlichen Grundlagen, die zur Verharmlosung der Gentechnikpflanzen zugrunde gelegt wurden, sind höchst fragwürdig, wie mehrere jüngste Gutachten ausführen. Auch das Vorsorgeprinzip wird ignoriert. Die heutige Abstimmung darf nicht das Ende dieses traurigen Kapitels sein. Voraussichtlich am 7. Februar wird sich das Plenum des Europäischen Parlaments zu dem Text positionieren. Dann kann und muss die heutige Abstimmung korrigiert werden.“


Özdemir muss sein Bekenntnis zu Wahlfreiheit bei Gentechnik einlösen

Alexander Hissting, Geschäftsführer des Verbandes Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) ist zuversichtlich, dass die Stimmen von Erzeugern, Unternehmern und Verbrauchern für Kennzeichnung und Wahlfreiheit von den Europaabgeordneten gehört werden. „Die Europaabgeordneten sollten sich von diesem Votum nicht beirren lassen und sich zur Abstimmung im Februar ihre eigene Meinung bilden. Die Mehrheit im Umweltausschuss war nicht überwältigend. Es ist noch längst nicht aller Tage Abend. Unter den Mitgliedsstaaten ist der Widerstand gegen die Abschaffung von Gentechnik-Kennzeichnung und Koexistenzmaßnahmen weiter stabil. Das gilt insbesondere auch für Deutschland, wie Landwirtschaftsminister Cem Özdemir im Rahmen der Grünen Woche in Berlin erneut bestätigt hat. Mit seinem Bekenntnis zu Wahlfreiheit und zur ‚Ohne Gentechnik‘- und Bio-Wirtschaft könnte Özdemir auch weitere EU-Staaten überzeugen, seinen Kurs zu unterstützen.“

200 Unternehmen fordern Gentechnik-Kennzeichnung

EVP-Vorsitzender im Europaparlament und CSU-Vize Manfred WeberWeber verweigert bisher den Dialog und will vor der wichtigen Abstimmung im federführenden Umweltausschuss des EU-Parlaments, am 24.Januar 2024, nicht mit den Firmen sprechen, die ihm einen Offenen Brief geschrieben haben. Dem Aufruf zur Zweitunterzeichnung des Offenen Briefes der Unternehmen Alb-Gold, Alnatura, Andechser, dm und Frosta zum Erhalt der Kennzeichnung von Gentechnik-Lebensmitteln, sind in nur zwei Wochen fast 200 Unternehmen nachgekommen. Forderungen nach einer Rücknahme der bisherigen Deregulierungspläne kommen auch von vielen Seiten: Die Wahlfreiheit muss bleiben!


Auch auf der "Wir haben es satt" Demo am 20.1.2024 in Berlin verliehen Tausende ihrer Forderung nach Kennzeichnung und Wahlfreiheit Ausdruck. (Foto: WHES)


Weber verweigert Dialog, das ist verantwortungslos

Zur Haltung des EVP-Fraktionsvorsitzenden Manfred Weber kommentiert Bioland-Präsident Jan Plagge: „Es ist ein Zeichen von Verantwortungslosigkeit, sich Gesprächen mit der Wirtschaft zu verweigern, bevor so weitreichende Entscheidungen getroffen werden. Wir hoffen auf Einsicht. Denn aktuell setzt sich die EVP für ein faktisches Verbot sämtlicher Koexistenzmaßnahmen in Europa und vor Ort ein. Die Unternehmen brauchen eine Erklärung, wohin dieses widersprüchliche Handeln der CDU und CSU führen soll.“

Auch Barbara Scheitz Geschäftsführerin der Andechser Molkerei und Erstunterzeichnerin fordert eine Antwort aus Brüssel: „Gentechnikfreiheit ist die Grundlage unserer Bio-Landwirtschaft. Wir leben und wirtschaften mit der Natur. ‚Natürliches natürlich belassen‘ ist unser Auftrag. Es braucht dieses klare Bekenntnis aus Brüssel.“


Barbara Scheitz Geschäftsführerin der Andechser Molkerei (Foto: Andechser Molkerei)

Bio-Unternehmen positionieren sich deutlich

Andreas Wenning, Minderleinsmühle erklärt: „Wir sehen aktuell viele Initiativen, welche den ganz wesentlichen Beitrag der Bio-Landwirtschaft zur Ernährungssicherheit und zur Bewältigung der Klimakrise in ihren Grundfesten zu erschüttern versuchen. Es muss weiterhin eine Wahlfreiheit für Verbraucher geben. Dazu wurde die Gentechnik-Kennzeichnung geschaffen. Darauf muss auch in Zukunft Verlass sein.“ Auch Wolfgang Ahammer, VFI Oils for Life, fordert Transparenz und Kennzeichnung: „Für uns als Hersteller, die sich für Lebensmittel ,Ohne Gentechnik‘ und Bio-Lebensmittel engagieren, ist es wichtig, dass dieser Status durch eine konturierte Zulassungspraxis und durch Einhaltung wichtiger marktwirtschaftlicher Prinzipien wie Transparenz auf jeder Verwendungsstufe, Beweislast des Anwendenden und Produkthaftung gesichert wird.“

Joseph Wilhelm, Rapunzel Naturkost: „Bio ist gentechnikfrei, und zwar immer. Dafür setzt sich Rapunzel seit Anfang der 2000er ein. Die Zulassung neuer gentechnischer Verfahren ohne Kennzeichnung in Europa wäre eine Katastrophe für die Bio-Landwirtschaft und für Bio-Produkte im Allgemeinen. Wir fordern daher alle EU-Parlamentarier auf, für eine ehrliche Kennzeichnung von Produkten mit Neuer Gentechnik über die gesamte Lieferkette hinweg zu stimmen.“


Häusling´s Warnung und Forderung

Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament und Mitglied des Umwelt- und Gesundheitsausschusses sowie zuständiger Verhandlungsführer für die Grünen/EFA im Umweltausschuss, warnt: „Den von der Berichterstatterin im Turboverfahren in unangemessen kurzer Frist und mangelhafter Konsultation erstellten Abstimmungstexten können wir nicht zustimmen. Falls die Mehrheit der Abgeordneten dafür stimmt und das Plenum nichts mehr ändert, wird das Parlament mit einer Position der raschen Deregulierung der Neuen Gentechnik in die Verhandlungen mit dem Rat der Mitgliedstaaten und der Kommission (Trilog) gehen. Aber der Ökolandbau, die Verbraucherrechte und das Vorsorgeprinzip kommen dann unter die Räder. Dies bedroht zudem einen ganzen Wirtschaftszweig. Allein in Deutschland wurden 2022 mit „Ohne-Gentechnik“ gelabelten konventionellen Lebensmitteln 16 Milliarden Euro erwirtschaftet und im Biosektor 15,3 Milliarden Euro umgesetzt."


Martin Häusling, MEP


Sollte die Vorlage so durchgehen, wäre das verantwortungslos angesichts der damit verbundenen Gefahren und Ignoranz gegenüber erheblichen wissenschaftlichen und politischen Bedenken. Profitieren würde die milliardenschwere Agrarindustrie, die für ihre Geschäfte massives Lobbying betrieben hat und deren Texte sogar 1:1 in verharmlosenden Definitionen der Berichterstatterin auftauchen. Aus grüner Sicht muss dieser Durchmarsch verhindert werden.
Martin Häusling

Einhaltung des Vorsorgeprinzips und Opt-out Option

Eine Zulassung und Nutzung der neuen Agro-Gentechnik (NGT) in der EU muss zwingend gekoppelt sein an bestimmte Vorkehrungen für Umwelt und Verbraucher:Innen im Sinne des in den europäischen Verträgen verankerten Vorsorgeprinzips, so Häusling. Darunter fallen insbesondere eine umfassende Risikoprüfung der neuen Pflanzen im Zulassungsprozess, ihre Nachverfolgbarkeit und die Kennzeichnung aller NGT-Pflanzen und der aus ihnen hergestellten Erzeugnisse. Verbraucher:Innen müssen erkennen können, welche Lebensmittel mit Neuer Gentechnik hergestellt worden sind. Kennzeichnung und umfangreiche Co-Existenzmaßnahmen müssen dafür sorgen, dass gentechnikfrei arbeitende landwirtschaftliche Betriebe und Verarbeiter gentechnikfrei bleiben können. Zudem muss es wie bisher die Möglichkeit eines Opt-outs geben: EU-Mitgliedsstaaten, die keine neue Gentechnik zulassen wollen, müssen gentechnikfrei bleiben können!“



Der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG), Deutschlands führender Ökoanbauverband Bioland, die Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller (AöL) und der Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) unterstützen die Unternehmen bei ihrer Initiative für Wahlfreiheit bei Gentechnik im Essen.

Nach wie vor sind weitere Unternehmen der Lebensmittelwirtschaft herzlich eingeladen, die Initiative zu unterstützen und den Offenen Brief mitzuzeichnen.

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