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Deregulierung verhindern: Aufruf zum konzertierten Widerstand

Aktualisiert: 13. März

Nach 20 Jahren ist das Thema Gentechnik wieder top aktuell: Die EU-Kommission will das gültige, bewährte europäische Gentechnikrecht deregulieren und für sogenannte Neue Gentechnologische Techniken (NGT) liberalisieren. Die Folgen für die Bio-Branche und Ohne-Gentechnik-Wirtschaft wären fatal. Der Bundesverband Naturkost Naturkost Naturwaren BNN hatte auf der Biofach Vertreter aus Politik und Bio-Branche zur Diskussion über die Folgen einer Deregulierung eingeladen. Am Ende stand Zuversicht und die Feststellung, dass noch nicht alles verloren ist, allerdings auch der dringende Appell, eine große Öffentlichkeit auf die Probleme einer Deregulierung aufmerksam zu machen und branchenübergreifend auf die Europa-Parlamentarier Einfluss zu nehmen, um eine Novellierung des Gentechniik-Rechts in der geplanten Form zu verhindern. Im gekürzten Video können die Kernaussagen der Diskussion im Originalton verfolgt werden, die im unterstehenden Text zusammengefasst sind.

Video zur Diskussion über die Deregulierung auf der Biofach

Wie konnte das passieren?

Martin Häusling, Agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europa-Parlament und Schattenberichterstatter zur Deregulierung der Neuen Gentechnik (NGT), schilderte ausführlich, wie die Gesetzesvorlage zustande gekommen ist und den bisherigen Prozess der Abstimmungen im Agrarministerrat, im Umweltausschuss und im Parlament. Ausgangspunkt war die im Juni 2023 von der EU-Kommission Umwelt (Envi) eingebrachte Gesetzesvorlage zur Deregulierung des bisher gültigen Gentechnik-Gesetzes als ein Baustein des Green Deal und der Farm to Fork Strategie, neben u.a. der Reduzierung von Pestiziden. Der Entwurf, der im Laufe der Legislatur mit immer neuen, aus Sicht der Gentechnik-Gegner, absurden Details versehen wurde, will die Kennzeichnung gentechnisch veränderter Produkte abschaffen, sieht weder eine Risikoprüfung vor, noch Koexistenzmaßnahmen oder Haftungsregelungen. Damit wird nicht nur das Vorsorgeprinzip und die Wahlfreiheit der Konsumenten mißachtet, sondern auch die Interessen, genauer gesagt die rechtlich festgeschriebene Verpflichtung der Bio-Branche und der „Ohne-Gentechnik“-Wirtschaft, Gentechnikfreiheit zu gewährleisten. Häusling bedauerte sehr, dass es bis vor Kurzem nicht gelungen war, eine breite Öffentlichkeit, die laut verschiedener Umfragen zu 80 bis 90 Prozent Gentechnik im Essen ablehnt, auf die Folgen der Deregulierungspläne aufmerksam zu machen. Zum Ende des vergangenen Jahres hatte sich allerdings in verschiedenen Aktionen Widerstand formiert und laut Martin Häusling und IFOAM-EU-Präsident Jan Plagge in den Abstimmungen Positives – zu Ungunsten der Gentechnik-Lobby – bewirkt.


Lobby-Schlacht sondergleichen

Martin Häusling zeigte sich überrascht, dass die Erzählung von den „Segnungen der Neuen Gentechnik“ in der Öffentlichkeit kaum hinterfragt wird. Scheinbar unzerstörbar, herrsche noch immer der Glaube an die unverfrorenen Fortschrittsbekundungen der von der Gentechnik-Lobby gesteuerten Wissenschaft vor und die Irr-Meinung, dass gen-manipulierte Pflanzen uns vor der Klimakrise schützen können. Häusling, der schon viele Jahre Europa-Abgeordneter ist, erklärte, dass er eine derartige Lobby-Schlacht noch nicht erlebt habe. Für die Saatgut- und Gentechnik-Konzerne gehe es um viel Macht und sie setzten alle verfügbaren Mittel ein, um die Deregulierung der neuen Gentechnik durchzudrücken. Er habe sogar den Eindruck, dies sei ein Versuch, der Entwicklung der Bio-Branche grundsätzlich zu schaden.


Panel von rechts nach links: Hans Kaufmann (BNN), Jan Plagge (Bioland u. IFOAM EU), Martin Häusling (Europa-Abgeordneter, Grüne), Barbara Maria Rudolf (Bioverita), Gunther Weiss (Alnatura), Boris Voelkel (Voelkel), Daniel Drescher (BNN). (Foto: Karin Heinze)


25 Prozent Öko-Landbau in Europa nur ohne Gentechnik erreichbar

Auch Bioland-Präsident Jan Plagge, der als Präsident von IFOAM Organics Europe nah am politischen Geschehen in Brüssel ist, beurteilt die Lage als ernst: Tatsache sei, dass überall dort auf der Welt, wo Gentechnik sich auf den Äckern ausbreite, der Öko-Landbau zurückgedrängt werde. Eine drastische Folge einer Deregulierung sei also auch ein Weniger der dringend notwendigen Ökologisierung der gesamten Land- und Lebensmittelwirtschaft. „Die Politik will eine Ökologisierung – 25 Prozent in der EU, 30 Prozent in Deutschland“, stellte Plagge fest. Das sei mit einem deregulierten Gentechnik-Recht unmöglich. Das müsse den verantwortlichen Europa-Politikern klar gemacht werden. Zudem seien auch viele konventionelle Landwirte gegen die Deregulierung, die Ohne-Gentechnik-Wirtschaft sowieso. "Ein neues Gentechnik-Recht ist nicht nur ein Bio-Thema ist, sondern es geht die ganze Lebensmittelwirtschaft an, die sich mehrheitlich gegen Gentechnik positioniert", so Plagge.


Die ungelöste Frage der Patentierung

Einig waren sich Häusling und Plagge in der Ansicht, dass die Patentfrage eine tragende Rolle spielt und trotz anderslautende Schlagzeilen nicht gelöst ist und auch nicht von der EU grundlegend gelöst werden kann. Vielmehr ginge es den Gentechnik-Befürwortern darum, ihr „Geschäftsmodell“ nicht nur durch das Patentieren von genmanipulierten Pflanzen zu zementierten, sondern quasi eine „Software für Lebensmittel“ zu schaffen. Diese komplexen Themen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, koste Zeit. Es wäre gut, wenn der Prozess in Brüssel hinausgezögert werden könnte, so Plagge.


Status Quo und weiteres Procedere

Der Plan der EU-Kommission und der spanischen Ratspräsidentschaft, ein neues Gentechnik-Recht im Schnelldurchgang zu etablieren, scheint nicht aufzugehen. Nach der Uneinigkeit im Agrarministerrat, konnte bei der Abstimmung im EU-Parlament am 7.Februar 2024 ebenfalls nicht in allen Punkten der Vorlage Einigkeit erzielt werden. Es ist gelungen, eine Kennzeichnungspflicht entlang der gesamten Wertschöpfungskette einzubringen.


Jan Plagge (Bild) forderte alle Akteure der Wertschöpfungskette, vom Erzeuger bis in den Handel, auf, im Europa-Wahlkampf auf die Kandidaten ihrer Region zuzugehen und ihnen ganz konkret Fragen zu den Problemen, die sich für sie auftun, zu stellen. Wie vermeide ich Einkreuzungen, Kontaminationen, wie sichere ich eine gentechnikfreie Lieferkette ab, wie können Kunden weiterhin mit gentechnikfreien Produkten bedient werden, wie ist die Haftung geregelt usw. Diese persönliche Ansprache könne weitaus mehr bringen als die Lobby-und Verbandsarbeit. Plagge machte vor allem Herstellern Mut sich einzubringen und Abgeordnete und Kandidaten in ihre Betriebe einzuladen und ihnen, die Problematik zu schildern und nach Antworten zu fragen.


Im Video werden noch weitere Themen diskutiert wie die Öko-Züchtung (Barbara Maria Rudolph, Christiansen´s Hof, Vorständin Öko-Züchter-Verein Bioverita) sowie die Sicht des Handels (Gunther Weiss, Alnatura).


Autorin: Karin Heinze


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